31. Dezember 2007

Ihr Kinderlein kommet… zur Krippe herkommet in Pannurs Stall

Ich hoffe, ihr hattet alle ein schoenes, froehliches, gesegnetes und friedliches Weihnachtsfest und wuensche euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr. Ich hoffe,euch geht es gut dort im fernen kalten Deutschland (oder wo auch immer ihr gerade seid). Mir gehts super und finde es immer noch unbeschreiblich schoen hier. Aber ich bin nicht der Typ, der wochenlang vor Freude die ganze Zeit nur im Dreieck huepfen kann und so hab ich auch schon ein paar kleine Kriesen erlebt… ist schon komisch, man mus sich aufgrund der ganz anderen Kultur wieder von Anfang an mit sich selbst auseinandersetzen und lernen, in dieser neuen Umgebung mit seinen Fehlern zurechtzukommen. Abe rim grossen und ganzen fuehle ich mich ziemlich wohl hier und habe es bisher noch nie bereut, nach Indien gegangen zu sein. Manchmal wuenschte ich mir sogar, ich koennte den ganzen Rest meines Lebens in Indien verbringen. Ob ich Heimweh habe? Meine Familie vermisse ich manchmal schon, immerhin hab ich 18einhalb Jahre fast jeden Tag mit ihnen verbracht. Aber bisher war es nur einmal ganz schlimm und zwar am Morgen des 24.12. Ich dachte, Weihnachten ohne meine Familie wuerde ganz ganz schrecklich werden…. und dann wurde es einfach unbeschreiblich schoen:
“Um Mitternacht feiern wir einen Gottesdienst und ich lasse mich fallen in diese ungeahnt tiefe Freude, bescheidene Einfachheit und unverdorbenen Frieden der Aermsten der Armen. Ich koennte vor Freude weinen …nein, mir ist eher danach, 26 Purzelbaeume zu schlagen und 53 Luftspruenge zu machen. Mir kommt es fast so vor, als waere ich selbst in Bethlehem vor 2007 Jahren. Jedenfalls bekomme ich (weg von Konsum und Materialismus in Europa) mehr denn je eine Ahnung davon, wie es sich damals zugetragen haben muss. (Dieses Erlebnis ist das schoenste Weihnachtsgeschenk, das ich je bekommen habe. Und so gerne ich es mit euch teilen wuerde, ist es leider unmoeglich, dies in Worte zu fassen, man kann es nur tief in seinem Herzen spueren.) Nach dem mitternaechtlichen Gottesdienst, in dem die Haelfte der Kinder einschlaeft (gibt es etwas schoeneres als schlafende Kinder?) setzt sich die ganze Gemeinde in einem grossen Kreis vor die Krippe, die draussen aufgebaut ist, und jeder bekommt ein Stueck Kuchen und einen Schluck heissen Tee (ueber den man sich freut wie ein Schneekoenig,denn es ist ziemlich kalt). Danach ziehen ein paar Kinder los, um mit dem “Baby-Jesus” aus Ton jades Haus im Dorf zu besuchen (sie sind fast die ganze restliche Nacht unterwegs) Ich habe das leider nicht mitbekommen,sonst waere ich liebend gerne mitgegangen.
Am naechsten Morgen gibt es einen Gottesdienstim Freien (mit Taufe), da so viele Leute kommen, dass sie nicht alle in die Kapelle gepasst haetten. Ich mag die Gottesdienste hier, obwohl ich kein Wort verstehe, aber sie sind so lebendig und der Gesang ist so schoen… Den restlichen Vormittag verbringen William (ein 30-jaehriger Franzose) und ich damit, Obst zu schnippeln, ein leckerer Obstsalat soll unser Weihnachtsgeschenk fuer alle sein. Nach dem leckeren, reichlichen Mittagessen gehen alle Kinder, die Lehrerin, die englische und die italienische Familie, die zu Besuch sind, William und ich zum Fluss, die Kinder nehmen ihre Kleider zum Waschen mit. Die Erfrischung endet in einer ausgelassenen Wasserschlacht. Und auch sonst spielen und toben wir den ganzen Tag mit den Kindern…Es ist so schoen, dass sie noch richtige Kinder sind, die nicht viel brauchen zum Spielen und nicht von Computer, Fernsehen und Ueberfluss “verdorben”sind. Und wenn sie spielen, geht es ihnen wirklich nur um den Spass und nicht ums gewinnen, ich glaube, sie wissen gar nicht,was gewinnen ist. Was diesen Weihnachtstag zu einem so besonderen Tag macht, ist nicht das gute Essen, kein Flittern und Glimmer, keine Ueberheblichkeit, kein Konsum und keine Geschenke, sondern die einfache Freude und das lustige Miteinander.

11. Dezember 2007

Klopapier gibt es nicht und der Mond hat kein Gesicht mehr...

... wirklich, wenn ich es nicht besser wuesste, haette ich statt einem Gesicht nur den Hasen darin gesehen. Und auch sonst ist alles ganz, ganz anders in Indien. Die ersten paar Tage war ich ganz erschlagen...

25.11.2007 Ankunft in Bangalore
*Ich muss eine halbe Ewigkeit auf meinen Koffer warten. Viele Leute sprechen mich an, einfach so. Aber ich bin einfach nur hundemuede und wie in Trance stolpere ich aus dem Flughafen. Draussen erwartet mich eine ungewohnte Waerme, obwohl es schon dunkel ist. Mir bleibt nichts anderes uebrig als hineinzutauchen in Bangalores buntes, lautes, wuselndes Chaos. Allein meine erste Fahrt in einer Autorikscha ist ein einziges Abenteuer. Zwei Tage, bevor ich Deutschland verliess, habe ich meine Fuehrerscheinpruefung bestanden (Hallelujah!) und dann in Indiens Verkehrschaos zu landen, ist schon ein kleiner Schock. *

An dem einen Tag, den ich in Bangalore verbrachte, bakam ich nicht viel von der Stadt zu sehen und von daher war der Verkehr das fuer mich wohl beeindruckenste. Verkehrsreiche Strassen sind ein einziges Hupkonzert. Wirklich, es vergehen keine 2 Sekunden, in denen nicht gehupt wird. Vor allem die Mofas, und davon gibt es sehr, sehr viele. Jeder faehrt wie er will, aber es passiert nichts, das ist das Krasse.

Hier auf dem Land sind statt der vielen Mofas und Autos Kuehe, Ziegen, Huehner, Hunde, Voegel und Menschen auf den Strassen unterwegs.

27.11.2007 Fahrt nach Pannur
*Ich werde heftigst durchgeschuettelt aufgrund der bucklig-huppligen Staubpiste, die sich Starsse nennt. Aber darauf achte ich nicht, denn ich bin mit etwas anderem beschaeftigt... schauen und staunen. Kleine Felsenberge in bizarren Formationen. Eine Frau in buntem Sari kommt uns entgegen, sie traegt eine Wasserkaraffe auf dem Kopf. Reis-, Sonnenblumen-, Baumwoll- und Kornfelder. Wir ueberholen ein paar Kuehe mit bunt angemalten Hoernern. Eine Ansammlung kleiner, strohbedeckter Lehmhuetten, vor denen Huehner scharren und Kinder spielen, die aufgeregt winken, als wir vorbeifahren. Auf der Strasse laeuft ein Mann, statt Hosen traegt er ein Tuch um die Hueften geschlungen, man sieht kaum sein Gesicht, da er ein riesiges Buendel Stroh auf dem Kopf transportiert. Ein Fluss, in dem Frauen Waesche waschen, wunderlicherweise kommt unser Jeep heil ueber die schmale Bruecke. Wieder ein paar Huetten, vor denen rote Chillischoten getrocknet werden, ein Pfau stolziert auf und ab, bunte Saris flattern im Wind. Wir ueberholen einen Trecker, der laute Musik anhat und viele Menschen auf dem Anhaenger transportiert. In Kornfeld sitzen Frauen, die das Korn von Hand ernten. In der Ferne wiegen sich Palmen im Wind. Langsam versinkt die Sonne als glutroter Feuerball am Horizont.*

Indiens Schoenheit live zu sehen ist unbeschreiblich wunderbar. Ich kann kaum glauben, dass ich das alles erleben darf. Hoffentlich werde ich mich nie daran gewoehnen und immer mit staunenden Augen schauen, die diese Schoenheit zu wuerdigen wissen. Oft sitze ich auf dem Dach des Internats in Pannur, besonders zur Zeit des Sonnenuntergans und geniesse die Aussicht, beobachte das Dorf, die Bruecke ueber den Fluss und die Menschen, die vorbeiziehen.
Neben der Schoenheit Indiens bin ich vor allem auch von den Menschen, ganz besonders den Kindern, sehr beeindruckt. Sie sind ja so goldig!

27.11.2007 Ankunft in Pannur
*Eine Kinderschar rennt auf mich zu und umringt mich. Sie rufen Aunty und Miss, finden alles Moegliche an mir faszinierendund sagen stolz Englische Brocken auf. Genau wie es mir von dem Maedchen beschrieben wurde, die letztes Jahr hier war. Wunderschoen, dieser herzliche Empfang.*

Die Kinder wachsen mir mit jedem Tag mehr ans Herz.

Doch so schoen und idyllisch sich das bis jetzt anhoert, hat alles doch seine zwei Seiten. Weiss und Schwarz, schoen und schrecklich, Hoehen und Tiefen, die dem Leben seine ganze Fuelle schenken. Immer wieder merke ich, trotz dass die Schoenheit mich blendet, wie unendlich arm die Menschen hier sind.
Ich sah einen Mann, der ein Kind mit einem Stock geschlagen hat, ich sah Frauen, die Steine schleppen muessen, ich sah Maedchen in Tabeas Alter, die auf ihre kleinen Geschwister aufpassen muessen und ich lernte einen Jungen kennen, der nicht in die Schule gehen darf, weil er Kuehe hueten muss.

3.12.2007 Ausflug nach Manvi
*Ich laufe mit einer Wasserflasche in der Hand durch die kleine Stadt Manvi. Ein Mann kommt auf mich zu und redet auf mich ein. Ich verstehe kein Wort, aber scheinbar will er irgendetwas mit meiner Wasserflasche, daher gebe ich sie ihm. Er trinkt. (Wenn Inder aus Flaschen trinken, schuetten sie sich das Wasser so in den Mund, dass sie die Flasche nicht beruehren... hab sie danach trotzdem nicht mehr benutzt...). Nach einer Weile findet mich dieser Mann wieder und bringt mir ein paar Trauben, die er offensichtlich irgendwie fuer mich aufgetrieben hat. Er kommt ein zweites Mal und bringt mir eine Handvoll Knabberzeug. (Keine Sorge, ich habs nicht gegessen) Da ich ausserstande bin herauszufinden, ob er dies aus Dankbarkeit fuer den sSchluck Wasser, den ich ihm gab, getan hat oder weil er mich aus sonstigen Gruenden (eine Weisse) faszinierdend fand, wird es fuer immer sein Geheimnis bleiben. Als ich daraufhin mit dem Bus zurueck nach Pannur fahre, unterhalten sich neben mir zwei Maenner lautstark. Sie werden immer lauter, bin ich bemerke, dass sie sich heftig streiten. Andere mischen sich ein, eine Frau versucht zu schlichten. Ich weiss nicht, worum es in diesem Streit geht, aber in dem Gesicht des einen Mannes kann ich so viel Leid und Verzweiflung sehen, dass ich beinahe weinen muss.*

Die Menschen hier sprechen Kannada und die Kinder und viele viele andere koennen kein Englisch, das ist wirklich sehr sehr schade. Anuradha (Anu) brachte mir ein paar Worte Kannada bei, aber weit werde ich wohl nicht kommen, da sie auch eine ganz andere Schrift haben....

7.12.2007 Abschied von Anu und Lorea
Es ist Nachmittag. Anu und ich sitzen auf dem Betonklotz vor der Kueche mit Blick auf den Hof, essen Kekse, die wir in unseren Tee tunken, wie wir es in letzter Zeit so oft getan haben. Anu ist ein indisches Maedchen aus Bangalore, sie kam um ein paar Hintergrundinformationen fuer ihr Studium zu sammeln und in den letzen 10 Tagen verbrachten wir beinahe jede Minute zusammen. Sie ist sehr nett und der einzige Mensch hier, dessen Englich ich recht gut verstehen kann. Heute abend wird sie nach Hause fahren (aber sie moechte im Maerz wiederkommen). Auch Lorea aus Spanien, die einen Monat hier verbrachte, wird uns heute verlassen. Wir waren zu dritt in einem Zimmer untergebracht, bei dem die Fenster keine Scheiben haben und die Klospuelung nicht funktioniert. Von nun an werden nur noch die Lehrerin, die Koechin, die Granny und Father Maxim (wenn er nicht gerade unterwegs ist) hier wohnen. Ich frage mich, wie es wohl ohne Anu und Lorea sein wird...*

9.12.2007 Stromausfall
Ich sitze mit den Kindern draussen auf der Treppe. Wie so oft ist der Strom ausgefallen, daher ist es bis auf die Kerze, die wir angezuendet haben, stockdunkel. Ein paar Maedchen kuscheln sich an mich. Keiner sonst schenkt ihnen koerperliche Waerme und Zuneigung, von daher sitzen sie so gern auf meinem Schoss. Die kleine Santoshi weint. Ich versuche sie zu troesten, doch still schluchzend kullern ihr die Traenen uebers Gesicht. Ich singe ihr etwas vor, druecke sie an mich, streichel ihr uebers Haar. Ich weiss nicht, warum sie so weint und kann sie auch nicht fragen. Wie sehr wuensche ich mir doch in diesem moment, ihre Sprache zu beherrschen. Unschuldige Kindertraenen koennen so herzzerreissend sein...*

Ihr sehr, es geht mir gut.
Hier in Manvi gibt es nur 2 Computer mit Internet und ich bekomme ein schlechtes Gewissen, dass ich den einen so lange blockiere.... von daher hoer ich mal auf, obwohl ich noch so viel mehr schreiben koennte. Ich hoffe, ich konnte euch mit diesen Szenenausschnittenmein Leben hier ein wenig naeher bringen. Ich bitte euch, wer Zeit und Geld hat, der komme mich besuchen. Indien ist auf jeden Fall eine Reise wert!

3. Dezember 2007

Endlich in Indien

Ich bin gut angekommen!!! Flug usw. verlief alles gut, Lucy, ein Maedchen aus Nicaragua holte mich in Bangalore ab und dann blieben wir noch einen Tag dort, bevor wir mit demNachtbus 9 Stunden nach Manvi gefahren sind. Die Entfernungen hier hab ich ehrlich gesagt unterschaetzt, aber das macht nichts, denn man hat Zeit hier.... Die letzte Woche verbrachte ich dann in Pannur, dort ist es sehr friedlich und ruhig, aber bald werde ich vermutlich nach Manvi umziehen. Ich hab leider momentan keine Zeit, viel zu schreiben, ich wollte nur sagen, dass es mir gut geht. Wieder gut geht, denn ich war schon krank, einen Tag lag ich mit Fieber im Bett, aber es war nur eine normale Erkaeltung, keine Sorge. Anfangs hatte ich auch einen ziemlichen Kulturschock und heftig mit dem Jetlag zu keampfen... aber ich gewoehne mich ganz gut ein hier...
Indien ist der Wahnsinn sag ich euch. Ich bin total begeistert. Diese unglaubliche Schoenheit... da kann man nur staunen. Ich kann immer noch kaum glauben, dass ich nun wirklich hier bin. Und gleichzeitig bin ich so dankbar, dass ich das alles erleben darf.
So, ich bemuehe mich, bald wieder (und ausfuehrlicher) von mir hoeren zu lassen.
Machts gut dort im kalten Deutschland, eine schoene Adventszeit wuensch ich euch, bis demnaechst, eure fEjA

19. Juni 2007

Pfingstferien 2007: Südfrankreich

Meine letzten offiziellen Schulferien... tja, wo verbrachte ich die? Die erste Woche natürlich in Taizé, wonach ich mich schon lange gesehnt und sehr darauf gefreut hatte. Taizé war (wie ich jedes Mal feststelle) anders als sonst, aber toll wie immer. Ein wirklich wundersamer Ort, an dem man Stille und Heil, Zufriedenheit und Frieden, Geborgenheit und Gott, Spaß und Freundschaft, Vertrauen und Glauben finden kann.

Eigentlich wollten wir (mein Bruder, mein Freund und ich) in Taize jemanden finden, der uns mit ans Meer nehmen würde, aber wir haben niemanden gefunden. Sonntagmorgens kristallisierte sich langsam die Idee heraus, mit dem Zug zu fahren. Die Sehnsucht nach dem Meer war größer als die Ebbe im Geldbeutel. Der Schmerz über den Abschied von Taize wurde von der Vorfreude auf das Meer überstrahlt. Von meiner Schwester wurden wir noch an den Bahnhof gefahren und dann machten wir uns auf den Weg ins Ungewisse. Egal wo hin, Hauptsache ans Meer, die billigste Zugverbindung bitte.

Obwohl wir kein Französisch können, fanden wir uns abends nach fünfstündiger Zugfahrt in Marseille wieder. Da standen wir nun ohne Orientierung am Bahnhof und hatten keine Ahnung, wohin wir gehen sollten. Unser Geld wollten wir nicht für ein luxoriöses weiches Bett im Trockenen ausgeben, also beschlossen wir, die Nacht am Strand zu verbringen. Als wir den Weg zu einem Stadtplan gefunden hatten, standen wir ratlos davor und bekamen von einem heruntergekommenen, nicht gerade vertrauenswürdig aussehenden alten Mann Hilfe angeboten. Mit Händen und Füßen machten wir ihm klar, dass wir zum Strand wollten und er empfahl uns, die Metro und den Bus zu nehmen. Als der Typ uns folgte, war er mir irgendwie unheimlich, aber irgendwann verschwand er wieder. Die Rolltreppe zur Metro hinunter war die längste, die ich je gesehen habe. Nach vielen Verständigungsschwierigkeiten mit dem Herrn am Schalter der Metro, nach dem Klären der Frage, in welche Richtung wir fahren müssen, dem Zählen der Stationen, damit wir unsere ja nicht verpassen, schleppten wir uns endlich an der richtigen Station aus der Metro hinaus in die dunkle Nacht von Marseille. Da uns jemand sagte, die Busse zum Strand würden so spät abends nur noch sehr selten fahren, beschlossen wir zu laufen. Da wir aber schon sehr k.o. waren, mussten wir uns erst einmal am nächsten Imbissstand stärken. Eine der ersten Fragen des Verkäufers war, ob wir Haschisch rauchen würden. Aber er war wirklich sehr nett. Das Nachtleben hat so ein ganz anderes, geheimnisvolleres aber auch offeneres Gesicht als das Tagleben, das so verschlossen und gestresst wirkt. Auf dem Weg zum Strand erzählten uns die verriegelten, mit Stacheldraht abgesicherten Häuser, wie kriminell diese Stadt ist. Dies konnten wir auch am traurigen Blick des Fahrrads, an dem alles bis auf den angeketteten Rahmen geklaut war, erkennen. Prostituierte kreuzten unseren Weg. Der Strand schien endlos weit entfernt, wir waren hundemüde, die Füße taten weh, das Laufen war anstrengend, die Rucksäcke tonnenschwer. Umso größer war die Freude, als wir dann endlich ankamen. Typischer Stadtstrand, kein Touristenstrand. Vor einem Häuschen luden wir unsere Rucksäcke ab und gingen erst einmal dem Meer Hallo sagen. Unserem kritischen Blick, wie sicher dieser Schlafplatz sein könnte, entgingen die zwei dunklen Gestalten nicht, die so aussahen, als ob sie sich vor einem anderen Häuschen niederlassen wollten. Um eine Antwort auf die Frage zu bekommen, ob wir mit diesen Nachbarn beruhigt schlafen können, gingen wir vorsichtig zu ihnen hin. Es waren zwei Mexikaner, die gerade eine Radtour von Barcelona nach Rom machen und dann noch nach Indien radeln wollen. Auf unsere Frage hin, ob man hier am Strand schlafen kann, warnten sie uns, sehr vorsichtig zu sein und mit dem Kopf auf unserem Gepäck zu schlafen, erzählten aber auch, dass sie ihre Fahrräder Sicherheitsleuten anvertraut haben, die hinter diesen Häuschen die ganze Nacht patroullierten. Die Mexikaner luden uns ein, neben ihnen unser Nachtlager aufzuschlagen, denn sie waren unter einem Dach. Nach dem Beschluss (und Bennis Frage, ob sie "nett" wären), dass wir ihnen vertrauen können holten wir unser Gepäck und und machten es uns gemütlich.


Nach einem Schwätzchen am Morgen fuhren unsere netten Mexikaner auch schon relativ früh weiter. Wir kauften erst einmal im nächsten Supermarkt ein und aßen dann ein superleckeres Frühstück mit Baguette, Camenbert, Tomaten,... Danach gingen wir - juche, das erste mal in diesem Jahr - im Meer schwimmen. Am Strand stand eine Dusche, die wir säuberlich mit Shampoo und Duschgel und zum Zähneputzen nutzten. Nun sahen wir auch, weshalb der Mann uns vorher so unbedingt von unserem Schlafplatz verjagen wollte: Es war eine Strandbar; dort, wo wir geschlafen haben, standen nun Tische und Stühle.


Dass wir an diesem Ort nicht bleiben wollten, war klar, und nachdem wir etwa 300m von unserem Schlafplatz entfernt einen riesigen Blutfleck entdeckten, beschlossen wir, auf jeden Fall aus dieser (wirklich sehr kriminellen, wie uns später gesagt wurde) Stadt zu verschwinden. Doch wohin sollten wir gehen? Da kam uns wieder ein Schutzengel zu Hilfe: Luana, die uns gerade in diesem Moment eine SMS schickte. Wir lernten sie in Taize kennen und sie erzählte uns von einem tollen Ort in der Nähe von Marseille, mit schönen Buchten, ideal zum am Strand schlafen. Sie hatte jedoch den Namen von diesem tollen Ort vergessen. In der SMS schrieb sie, ihr wäre der Name wieder eingefallen: Cassis. Und so beschlossen wir, nach Cassis zu gehen. Die nächstbesten Leute, die wir ansprachen, konnten wunderbar Englisch. Kein Wunder, denn wie sich später herausstellte, waren sie Au-Pair-Mädels aus ganz Europa. Auf unsere Frage hin, wie weit Cassis entfernt wäre, meinten sie gleich: zwei Tage Fußmarsch. Wir sahen wohl so aus, als ob wir wandern wollten. Sie erzählten uns aber auch von einem Bus, der dorthin fährt. Wir wollten es mit Trampen ausprobieren (trotz striktem Verbot unserer Mütter) und sie empfahlen uns eine Straße, an die wir uns am besten stellen sollten. Dass es sich mit dem Trampen schwierig gestalten würde, war uns klar, da wir ja 3 Leute mit jeweils einem großen Rucksack und einer Gitarre waren. Egal, ein Versuch war es wert. Nachdem wir etwa 10 Minuten an der Straße standen und kein Auto gehalten hatte, kam ein Bus mit der Aufschrift "Cassis" vorbei und hielt 5m vor uns. Da es gar nicht so teuer war, fuhren wir doch mit dem Bus.

In Cassis chillten wir uns erst einmal an den Strand. Benni kundschaftete die Gegend nach einem geeignetem Schlafplatz aus, Fabian malte und ich machte Ohrringe. Wir wollten Schmuck und Bilder verkaufen, um wenigstens ein

bisschen Geld für die teure Zugfahrt wieder zu bekommen. Da ich während dieser Zeit Tabletten schluckte, bei denen aufgrund der Nebenwirkungen das Sonnenbaden vermieden werden soll, konstruierte ich mir mit Regenschirm und Gitarre einen Sonnenschirm.

Nach einiger Zeit war ein Gewitter im Anmarsch und wir machten uns auf zu dem "idealen" Schlafplatz, den Benni gefunden hatte.

Und der Platz war wirklich toll!

Wir malten noch ein wenig, richteten uns ein, machten ein Lagerfeuer und kochten uns Spaghetti. Da der Topf zu klein war, mussten wir zwei mal kochen, aber für die zweite Fuhre reichte unser Wasser nicht mehr aus. Zum Einkaufen war es zu spät. Also nahmen wir Meerwasser. Das werden wir nie wieder tun, denn die Spaghetti wurden durch das Meerwasser total versalzen. Zum Glück war der Hunger nach der ersten Portion nicht mehr so arg groß.




Den restlichen Abend verbrachten wir mit Gitarrenspiel und Sternegucken.


Die Gemütlichkeit des Meeresrauschen machte die Ungemütlichkeit, zu dritt auf zwei Isomatten auf hartem Steinboden zu schlafen, wieder wett. Mitten in der Nacht wachte ich einmal auf und der runde Mond blinzelte mir lieb und freundlich zu. Es ist wirklich herrlich, draußen zu schlafen.


Am nächsten Morgen brachte der Frühaufsteher unter uns das Frühstück, das er schon eingekauft hatte, ans Bett. Danach wurden in einer großen Säuberungsaktion mit Buschzweigen die vielen Glasscherben, die überall herumlagen, weggefegt.


Unser ganzen Gepäck wollten wir nicht immer mit uns herumschleppen, also versteckten wir einen Rucksack in einer Nische in der Wand und mauerten sie mit losen Steinen wieder zu, damit man ihn nicht sieht, die Isomatten und Schlafsäcke ließen wir einfach liegen und auf die Wäscheleine hängten wir stinkende Socken, zur Abschreckung ;-)

Dann machten wir uns auf den Weg über die Felsen nach Cassis, um dort Bilder und Schmuck zu verkaufen. Meinem Bruder wurde auch gleich am Anfang ein Bild abgekauft und zwar das, welches ihm am wenigsten gefiel. Aber mit dem Wetter hatten wir weniger Glück, denn es fing zu nieseln an. Nun gut, dann wollten wir einen Stadtbummel machen, setzten uns aber an der nächsten Ecke gleich wieder hin, um ein tolles altes Haus abzumalen. Nach dem Mittagssnack wurden wir auf unserem Streifzug durch den Ort von Leuten angesprochen, die in einem Café saßen. Sie fragten, ob wir ihnen etwas mit der Gitarre, die wir dabei hatten, vorspielen können. Das tat Benni auch und erntete Beifall. Ich verkaufte den Leuten (die übrigens aus Kanada und Griechenland kamen) noch Ohrringe und wurde mit kanadischen Dollars bezahlt. Das Wetter war wirklich nicht das beste, denn als wir uns niedergelassen hatten, um den Leuchtturm zu malen (und ich natürlich Ohrringe zu machen) fing es schon wieder an zu regnen.

Dann gingen wir eben einkaufen. Am Abend ging es mir nicht so gut, also legte ich mich hin und überließ das Kochen den Jungs. Dementsprechend katastrophal war das Essen ;-) Die Krebse und Muscheln, die sie kochten, wollte ich gar nicht erst probieren (aber nur, weil ich Meeresfrüchte überhaupt gar nicht mag, denn ihnen schmeckte es), der Couscous erinnerte von seiner Konsistenz her eher an Brei und schmeckte gar nicht nach Couscous (aber gar nicht soo schlecht) und die mit Käse gefüllten Teigtaschen.... nein, die waren lecker. Und so katastrophal war das Essen gar nicht.


Am nächsten Vormittag lief der Verkauf sehr schlecht. Keiner kaufte etwas und niemand interessierte sich auch nur ein kleines bisschen für uns. Nicht einmal Benni, der es mit Gitarrenspielen versuchte, und Fabian, der jonglierete, konnten die Aufmerksamkeit der Touristen auf uns ziehen. Dementsprechend niedergeschlagen waren wir. Und da kam Alfredo! Alfredo, der französische Italiener und Kunstliebhaber. Zuerst suchte er sich nur stillschweigend ein paar Bilder aus, dann fragte er uns, ob wir sein Restaurant malen können, er würde es uns gleich zeigen. Also gingen Benni und Fabian mit und ich passte auf unsere Sachen auf. Ich wartete und wartete.... mir schien es, als blieben sie eine Ewigkeit weg. Aber ihre Fröhlichkeit und Begeisterung, als sie zurückkamen, machten die Warterei wieder wett. Sie erzählten von Alfredo, der so begeistert von Kunst ist, und den Kunstwerken in seinem Restaurant, von Alfredos Freunden, die später alle berühmt wurden, von Schinken und der Schinkenschneidemaschine, mit der man so umgehen muss wie mit einer Frau, und dass sie zusammen eine Flasche von dem besten Wein, den sie je getunken hätten, geleert hätten. Jaja. ;-) Sie sollten heute abend wiederkommen und sein Restaurant malen, es geht aber um die Kunst und nicht ums Geld, sie sollen sich von seinem Restaurant inspirieren lassen, Geld spielt keine Rolle. Und außerdem waren wir ja zum Urlaubmachen hier und nicht zum Geldmachen, also chillten wir uns erst einmal gediegen an den Strand. Oh yeah, wir genossen diesen Nachmittag am Strand sehr.

Und abends gingen wir dann zu Alfredos Restaurant, setzten uns davor, ließen uns inspirieren und unter unseren Händen kleine Kunstwerke entstehen, von denen Alfredo sehr begeistert war. Benni malte sein Restaurant mit Aquarell, Fabian mit Tusche. Und ich, tja, was sollte ich tun? Malen kann ich nicht. Also machte ich ihm ein Kunstwerk aus Silberdraht und Steinen. Hände, aus einem Stein hervorkommend, erheben sich wie zum Gebet und über ihnen schwebt in einem Herz ein roter Stein. Oh ja, Alfredo sah in uns die wahren Künstler. Die Bilder wollte er natürlich in seinem Restaurant aufhängen, und eines sollte auf die Speisekarte vorne drauf, mein kleines Kunstwerk wollte er in eine Vitrine stellen. Und dann machten wir aus, Kunst gegen Kunst zu tauschen; denn seine Kunst war es, Pasta zu kochen. Und wir bekamen kostenlos ein leckeres Abendessen und eine anständige Bezahlung, die wir mit unserer Bescheidenheit kaum anzunehmen imstande waren.


Am nächsten Tag wanderten wir zu den Fjorden, von denen uns Leute erzählt hatten, die wir "durchs Loch geschickt" hatten. Denn in unserer Höhle endete ein Wanderweg und viele Leute, die nach Cassis wollten, kamen nicht weiter. Man konnte zwar klettern, aber das war nicht ungefährlich. Und so schickten wir die Leute durch das Loch zwischen einem verrosteten Eisentor und der Mauer, das viel kleiner aussah als es wirklich war.


Fast alle (bis auf einen wirklich dicken Mann und einer schwangeren Frau) kamen hindurch. Manche wollten natürlich nicht und sind lieber umgekehrt. Solche Leute erzählten uns eben auch von den Fjorden, die ganz in der Nähe waren. Die Wanderung dorthin hat sich wirklich gelohnt. Über die Schönheit der Natur kann ich immer wieder nur staunen.


Wir kletterten einen Berg hinauf, was nicht ungefährlich war, zudem hatten wir mit Dornen und teilweise mit Höhenangst zu kämpfen. Doch als wir es geschafft hatten, waren wir froh, diese Kletterpartie auf uns genommen zu haben, denn dort oben hatten wir das Gefühl, mitten in der Wildnis zu sein. Wir machten ein Feuer, grillten Würstchen und Paprika und genossen diese natürlich mit typisch französischem Baguette und Camenbert und zum Nachtisch gab es Marshmellows.

Nach diesem reichlichen und super-leckeren Mittagessen ging die Wanderung weiter zu einer wunderschönen Bucht. Dort schwammen wir, obwohl es gar nicht mehr so warm war, eine Runde und chillten auf den Felsen.

Als wir wieder am Strand in Cassis angekommen waren, stellten wir fest, dass wir kein Wasser mehr und die Läden auch schon wieder zu hatten. Tja, was tun? Meerwasser hatte sich ja zum Kochen als ziemlich ungeeignet herausgestellt. Wir waren vom vielen Wandern sehr durstig und hungrig, hatten aber nur noch Kartoffelbrei zum Anrühren und ein paar Spagetthi. Wir benötigten also dringend Wasser. So beschlossen wir, unseren Freund Alfredo zu fragen und dieser half uns natürlich sehr gerne weiter und füllte unsere Wasserflaschen mit frischem, kühlen Wasser. Gäste in seinem Restaurant, die unsere Kunstwerke vom vorherigen Tag gesehen hatten, wollten sich von meinem Bruder malen lassen. Währenddessen telefonierte mein Freund und organisierte unsere Rückreise, die wir am nächsten Tag auch schon wieder antraten. Doch in der letzten Nacht wurde ich von Stimmen vor unserer Höhle geweckt. Ich traute mich nicht, mich zu rühren, aber obwohl die Männer deswegen nicht sehen konnte und eigentlich kein Französisch verstehe, merkte ich doch, dass einer mit der Polizei telefonierte und es dabei um uns ging. Sofort war ich hellwach und geriet total in Panik. Wir waren uns nie sicher, ob wildzelten und am Strand zu übernachten in Frankreich erlaubt ist oder nicht. Meine Phantasie malte mir die schlimmsten Szenen aus und ich konnte mich immer noch nicht rühren, hörte immer noch die Schritte vor der Höhle. Und dann hörte ich, wie ein Boot in unsere Richtung fuhr und glaubte wirklich, die Polizei würde nun kommen. Mein Bruder lachte mich hinterher über diesen Gedanken aus, da er meinte, die Polizei würde sich deswegen nicht so viel Mühe machen und außerdem hätte sie hier eh nicht mit einem Boot halten können. Etwas erleichtert stellte ich fest, dass das Boot vorbeifuhr. Dann traute ich mich auch endlich, die anderen zu wecken. Zuerst überlegten wir, einfach schnell alles zusammenzupacken, abzuhauen und mit dem ersten Zug wieder in Richtung Heimat zu fahren. Aber mein Freund schaute nach, ob die Männer noch da wären: Sie waren nicht mehr da. Ich begann mich zu fragen, ob ich das alles nur geträumt hätte. Ein Angler saß in der Nähe, den fragte mein Freund dann, ob es erlaubt wäre hier zu übernachten und der meinte gleich, die Polizei hätte gesagt, es wäre ok. Puh, da fiel mir aber ein Stein vom Herzen und beruhigt schliefen wir wieder ein. Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns von unserer Höhle und dem Meer, machten uns auf den Weg zum Bahnhof, kauften nach vielem hin und her mit unserem letzten Geld Fahrkarten, die wir gerade noch bezahlen konnten, warteten Kischenessend auf unseren Zug und während dieser uns dann Richtung Heimat beförderte, warfen wir letzte wehmütige Blicke auf den Ort und dachten mit wehmütigen Gedanken an die Zeit, die wir dort verbringen durften, waren aber auch glücklich und dankbar, dass es so schön war und dass uns nicht passiert ist und uns nichts geklaut wurde.



Machts gut, bis zur nächsten Reise. Alles liebe wünscht - fEjA